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Emmett Williams, Little men

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Emmett Williams: die kleinen Männer

Das Biografische ist ein weiterer wichtiger Aspekt in der Arbeit von Williams und auch weiteren Künstler_innen der Bewegung. In seiner Arbeit Emmett Williams Reading and performing My Life in Flux and vice versa and non stop (1992) liest Williams in 17 Stunden über sein Leben und seine künstlerische Entwicklung mit Fluxus. Den bezeichnenden Umstand, dass jeder der Biografen die Geschichte aus seiner eigenen Perspektive heraus erzählt, trägt Williams immer wieder vor.
Emmett Williams wird am 4. April 1925 in Greenville / South Carolina geboren und wächst in Newport News / Virginia auf. Anfang der 1940er Jahre kommt er durch die U.S. Army nach Europa. Er lebt und arbeitet von 1949 bis 1966 in Frankreich, Deutschland und der Schweiz. Von 1966 bis 1970 war Williams Chefredakteur des legendären 1963 von Dick Higgins gegründeten, Verlages „The Something Else Press“ in New York.
Neben seiner Tätigkeit als Fluxus-Lyriker und Konkreter Poet fand Williams eine ganz eigene Auffassung von Sprache, die sich vor allem in seiner konkreten Poesie, seinen Bilderrätseln, seinen Siebdrucken und Zeichnungen äußerte. Sprache, ganz im Geiste seiner Zeit, hatte nicht mehr allein repräsentativen, sondern vor allem einen transformativen Charakter, d. h. Sprache wurde als Handlung, gleichwertig mit anderen Handlungen, betrachtet. Philosophen wie Charles Sanders Pierce oder Vilém Flusser untermauerten seinerzeit diese Auffassung. Die beiden Theoretiker standen nicht im direkten Zusammenhang mit Fluxus-Künstler_innen. Doch sie nahmen auf eine allgemeine ästhetische Debatte Einfluss. Sie verstanden Sprache nicht nur als theoretischen, sondern auch als tatsächlichen Handlungsraum und darüber hinaus als hochgradig interpretationsbedürftig.
Die Nachricht vom „Tod des Autors“ durch Roland Barthes, die Hermeneutik Hans Georg Gadamers oder auch Paul De Mans Allegorie-Theorie standen ebenso für dieses veränderte Sprachverständnis, welches in der Literatur zur so genannten „Konkrete Poesie“ führte. Emmett Williamsexperimentierte damit schon in den 1950er Jahren im so genannten Darmstädter Kreis, zusammen mit Claus Bremer und Daniel Spoerri, Dieter Roth und André Thomkins, am dortigen Theater. Schon vor Fluxus gab es hier einzelne konkrete „Happenings“, ohne dass diese so genannt wurden. Die Zeichentheorie ist daher auch ein Schlüssel für das Verständnis seiner Erfindung der so genannten little men, die als allgegenwärtiges Markenzeichen Williams sie zahlreichen Wandlungen unterliegen. Begonnen hatte es mit ersten Zeichnungen dieser kleinen Figuren in der Kindheit. Schon hier zeigte sich eine Schnittmenge der „little men“ zu den kaligraphischen Zeichen Ostasiens, welche ein ebenso bildlichen wie schriftlichen Charakter aufweisen. Haben die Zeichnungen zunächst einen illustrierenden, spielerischen Charakter, stehen sie in der Folge für den „kleinen Mann“. Doch wer sind diese „kleinen Leute“ eigentlich? Williams erfindet mit ihnen Bildergeschichten, in denen sie als Protagonist_innen der Fluxus-Bewegung agieren. Wie man etwa an der Arbeit Train Robbery (1998) ablesen kann. Eine Bande aus primärfarbigen und gesichtslosen Gestalten macht sich daran, die auf einer Postkarte abgebildete Lokomotive zu überfallen. Eine Referenz, ja ein ironischer Kommentar, zu Wolf Vostells FLUXUS ZUG, den dieser 1981 als mobiles Museum mit seinen Environments in 16 Städte reisen ließ. Die „little men“ fanden außerdem als Ornament auf Plattencovern oder in 21 Proposals for the Stained-glass Windows of the Fluxus Cathedral (1991) den Entwürfen für die Fenster einer Fluxus-Kathedrale Verwendung. Hier zeigt sich noch einmal die spannungsgeladene Stellung des Zeichens zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem. Geht es Williams einerseits darum, eine Menschenmenge darzustellen, so geht es ihm auch darum, ihre Darstellungsform zu reflektieren. Es sind meist gesichtslose Figuren, deren Kleidung nach einem bestimmten Muster gefärbt ist. Es stellt sich unmittelbar der Eindruck ein, dass die „kleinen Leute“ sich (uni-)formieren und in einer Art pseudomilitärischen Parade aufreihen, wie zur Eröffnung des museums FLUXUS+ 2008. Nach Williams Tod dirigierte sein Freund und Fluxus-Gefährte Benjamin Patterson die Marching Band mit verkleideten Schüler_innen in das neu eröffnete Museum. Die Parade ist auch ein Hinweis auf Williams biografische Hintergründe. Als Soldat 1948 nach Europa kommend, lernte er die europäische Kulturszene als Redakteur für die US-amerikanischen Zeitschrift „Stars and Stripes“ schnell kennen und gestaltete sie letztendlich mit. Denn es war eben jene Zeitschrift, in der er und Benjamin Patterson, ebenfalls US-Soldat im Musikkorps, die ersten Veranstaltungen für Neue Musik unter Maciunas’ Markennamen FLUXUS ankündigten. Seither griff die bundesdeutsche Öffentlichkeit diesen Begriff auf und die Marke FLUXUS war geboren. Vor dem Hintergrund der „little men“, die man als kleine FLUXUS-Kämpfer bezeichnen könnte, ist die Arbeit SOLDIER zu lesen. Es ist mit seinem pazifistischen Duktus eine außerordentlich politische Arbeit des amerikanischen FLUXUS. Zwar waren bspw. George Maciunas oder Yoko Ono Vertreter der Fluxus-Bewegung, die sich explizit pazifistisch und links auch künstlerisch äußerten. Doch ansonsten waren politische Inhalte eher Vostell oder Beuys vorbehalten. Die Arbeit von Williams verbindet die Silben „SOL“ und „DIE“ in den amerikanischen Nationalfarben zu einer konkreten Darstellung, in der das Serielle und das Permutative der Schriftzeichen auf ganz konkrete Weise umgesetzt ist.      

 

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